Gastbeitrag: Hamburg fehlt eine Vision für seine Innenstadt

Gastbeitrag von Tulga Beyerle, der Direktorin des Museums für Kunst & Gewerbe.

TB
Verfasst von

Tulga Beyerle

Tulga Beyerle ist eine österreichische Designerin, Kuratorin und Museumsdirektorin. Sie leitet seit 2018 das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg.

Von Wien nach Hamburg ist ein weiter Weg, vom Süden in den Norden, von der Donau an die Elbe, vom Balkan in das flache Land Norddeutschlands. Ich bin Wienerin und das, wenn auch nicht immer mit der gleichen Überzeugtheit, so doch mit Stolz, und gleichzeitig bin ich sehr glücklich in Hamburg. Ich schätze an den Menschen hier ihre Geradlinigkeit, die Offenheit, die Konzentration auf die Sache, sich miteinander mit einem vielleicht streitbaren Thema auseinandersetzen, in der Regel einigen und umsetzen. Es ist das Kaufmännische, die Konzentration auf den (internationalen) Handel, das erfolgreiche Geschäft, mit Geschäftspartnern denen man vertrauen muss, zusammengefasst das Selbstverständnis dieser Stadt, aus dem vermutlich diese Qualitäten herrühren. Aber es ist auch dieser Pragmatismus ohne Romantik, der Erfolg ohne Zeit zu verlieren, die Konzentration auf das Wesentliche, welche oft Schönheit als Luxus bezeichnen. Wo kein Geschäft, da kein größeres Interesse … Natürlich stimmt das in dieser Pauschalierung nicht, aber ich möchte am Beispiel der Innenstadt, der Altstadt von Hamburg und dem Bezug der Stadt zu seinen Kulturinstitutionen beschreiben, was meiner Ansicht nach fehlt.

Seit über vier Jahren blickt die Stadt stolz auf die, „ihre“ Elbphilharmonie, zu Recht, denn nicht nur ist es ein wunderschönes, ikonisches Gebäude, sondern es ist eines der wichtigsten Konzerthäuser Europas. Dazu kommen tolle Museen, hervorragende Theater, der älteste Kunstverein Deutschlands, mit Kampnagel eines der wichtigsten Häuser für Musik und darstellende Kunst oder viele spannende Off-Szenen. Alles in allem in Kombination mit dieser unvergleichlichen Spannung zwischen dem industriellen Flair des Hafens und der Schönheit der Stadt eine ganz besondere Mischung. Das klingt als würde ich Werbung machen, was irgendwie absurd ist, denn unbekannt ist nichts davon. Aber geben Sie einmal im Netz Hamburg Tourismus und Wien Tourismus ein und vergleichen die beiden Seiten. Die Hamburger Website informiert gleich zu Beginn über die Einschränkungen wegen der Pandemie, dann folgen Reiseangebote. Nicht, dass das falsch wäre, aber einladend ist es nicht. Gerade jetzt, in einer Zeit der Einschränkungen, der Sehnsucht nach einem Ziel jenseits der vier eigenen Wände wäre eine Einladung Abstand zum Alltag zu bekommen, von einem schönen Kulturwochenende in Hamburg zu träumen, aber trotzdem sich im Hafen zu verlieren, oder so spannende und Zentrumsnahe Bezirke wie Hammerbrook zu entdecken, eine lohnende Einladung. Aber vielleicht sind Träume, Genuss und Flanieren keine Kategorien? Wann sind Sie das letzte Mal durch die Altstadt Hamburgs flaniert? Setzten sich auf einen Platz mit Bäumen, einfach auf eine Bank mit einem Coffee to Go und beobachteten die Menschen? Wie man es in Paris, Rom oder Wien jederzeit tun würde? Waren nicht shoppen, noch hatten Sie einen Termin?

Viele Städte stehen vor der dringenden Notwendigkeit ihre Innenstädte neu zu denken. Themen wie Individualverkehr, mehr Grün in der Stadt, die Durchmischung des Angebots, leistbare Wohnungen, Leerstandnutzung, produzierendes und reparierendes Handwerk, ein gemischtes Konsumangebot jenseits der großen Handelsketten und Luxusmarken. Die auch, aber nicht nur. Nichts davon ist neu und Hamburg ist in vielen dieser Bereiche aktiv, hat sich u.a. den Nachhaltigkeitszielen der UN angeschlossen und setzt konkrete Maßnahmen. Natürlich ist mir bewusst, diese Vorhaben brauchen Zeit, aber in meinem Alltag – in dem es zum Beispiel um das sehr konkrete und durchaus schwierige Umfeld rund um das MK&G geht – stehen immer Sicherheit oder so pragmatische Themen wie einfache Reinigung oder die Kosten des Erhalts eines Grünraums im Vordergrund, aber Klima, Aufenthalt, Respekt, Schönheit? Ist Schönheit Luxus? Gilt der Genuss des Verweilens nur für Menschen mit dem entsprechenden Einkommen? Wie teilt man sich eine Innenstadt, wie entwickelt man ein einladendes Angebot im öffentlichen Raum, das ausreichend Fläche für unterschiedliche Bewohner*innen der Stadt bietet und damit auch Angebote für Touristen, die zusätzlich zu einem Besuch in der Elbphilharmonie und – sagen wir mal – einem Museumsbesuch die Stadt genießen wollen? Es ist alles da, die Schönheit, die Plätze, der Leerstand, die sehr aktive Kreativwirtschaft, das Ziel des Emissionsfreien öffentlichen Verkehrs, engagierte Kirchenvertreter*innen, engagierte Bürger*innen. Aber es ist auch alles sichtbar was fehlt, Bäume und schön gepflegte Grünanlagen jenseits von Planten un Blomen, elegante Platzgestaltungen des Konsumfreien Aufenthalts, die Durchmischung der Gewerke, des Handels und der Kreativwirtschaft, eine Innenstadt des Wohnens und Lebens. Es fehlt an einer Vision, welche Kunst und Kultur, die Perlen, die rund um die Innenstadt aufgereiht sind (mit Abstechern zum MARKK oder Kampnagel) oder in der Innenstadt verteilt sind mit den bereits aufgezählten Themen verbindet. Eine Vision, die Raum zum Träumen bietet, Räume des Nichtstuns, mehr Süden, oder auch mehr Balkan in dieser lebendigen, kontrastreichen Stadt des Nordens. Eine Vision, die mit Stolz diese Räume im öffentlichen Raum, wie in den Kulturinstitutionen fördert und entwickelt und mit der gesamten Welt teilt.

Wien und Hamburg, beide Städte sind wunderschön, aber im Vergleich leidet Wien an einem für mich inzwischen entscheidenden Mangel – dort fehlt die stolze und engagierte Bürgerschaft. Nur fehlt dieser Bürgerschaft hier in all ihrem Engagement, kaufmännischem Denken und Pragmatismus der Sinn für den Müßiggang, für das Verweilen und den Genuss des Augenblicks. Das fehlt nicht den einzelnen Bürger*innen, das fehlt dem Denken der Stadt für ihre Bürger*innen. Das wäre mein Traum für eine ganz besondere Kulturhafenstadt Hamburg.

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